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Verhindert Corona die Klimarettung?

Printausgabe | September 2020
In Zeiten der Corona-Krise kann der blaue Planet durchatmen. Aber der wirtschaftliche Einbruch wird bisher nicht genutzt, um einen „grünen Strukturwandel“ zu organisieren. Gegen den Trend schafft die Europäische Union mit ihrem „Green Deal“ Fakten. Eine Taxonomie soll Milliarden-Investitionen in nachhaltige Bahnen lenken. Die Leitplanken sind umstritten. Klar ist aber: ESG-Investments lohnen sich auch in Krisenzeiten.
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Der geringere Anstieg von CO2-Emissionen gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich der Trend stabilisieren wird und ein Rückgang am Horizont erkennbar ist“, bewerten die Vereinten Nationen die letztjährigen Entwicklungen in ihrem Bericht „United in Science 2020“. Demnach übertrafen die globalen CO2-Emissionen bei Rekordwerten von 36,7 Gigatonnen nur geringfügig das Niveau des Vorjahres. So ist der Anstieg der CO2-Emissionen von jährlich drei Prozent in den 2000er-Jahren auf jährlich ein Prozent in der letzten Dekade zurückgegangen. Dann begann sich im März 2020 das Corona-Virus SARS-CoV-2 über den Globus auszubreiten und veranlasste Regierungen weltweit das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben quasi komplett herunterzufahren – ein Segen für das Klima?

Die Daten der Vereinten Nationen bestätigen das, was einen der gesunde Menschenverstand erahnen lässt: Der weltweite „Lockdown“ im frühen April 2020 hat den Ausstoß von CO2-Emissionen um 17 Prozent gedrosselt. Die Wissenschaftler führen das maßgeblich auf die Einbrüche beim Land- und Seeverkehr, vornehmlich Transporten auf der Straße, zurück, gefolgt von Rückgängen in der Industrie, dem Energiesektor, der Luftfahrt, öffentliche Einrichtungen und dem Handel. (siehe Schaubild auf Seite 14). „Die von den Regierungen weltweit beschlossenen Pandemiemaßnahmen hatten erheblichen Einfluss auf die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre: Weniger Konsum, weniger Produktion, mehr Homeoffice, eingeschränkter Flugverkehr und somit sinkende C02-Emissionen weltweit“, bestätigt Angela McClellan, Geschäftsführerin des Forums für Nachhaltige Geldanlagen (FNG), dem Fachverband für den DACH-Raum. Der Energiebedarf ist beispiellos gesunken, aber eben nur temporär, ergänzt McClellan: „Denn die Veränderungen haben noch nicht die strukturellen Änderungen hervorgerufen, die dringend notwendig sind“.

Umdenken? Fehlanzeige!

Da der pandemiebedingte Emissionsrückgang nicht gewollt, sondern durch eine Verringerung der Wirtschaftätigkeit erzwungen wurde, hat sie allenthalben Schmerzen verursacht und soll nun schnell überwunden werden, bewertet R. Andreas Kraemer die Lage. „Die Pandemiebekämpfung hat bisher gerade keinen Strukturwandel und keine technische Erneuerung gebracht und sie hat bei nur sehr wenigen Menschen zu einem Umdenken geführt“, betont der Umweltingenieur und Gründer des Ecologic Instituts, einem Think Tank für internationale und europäische Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Die Folge: Sobald die Restriktionen weiter gelockert werden, komme nach längerem Reisefrust wieder Reiselust auf und hohe Kapitalbeträge, die nicht ausgegeben wurden, dürften nun, so Kraemer, zu einem Kaufrausch führen. „In Anfängen ist das schon zu erkennen und die Emissionen steigen dann schnell wieder an“, sagt er.

Tatsächlich verringerte sich bereits Anfang Juni 2020 der Rückgang bei den CO2-Emissionen im Vergleich zum Vorjahr auf nur noch fünf Prozent, bei einer Spanne zwischen einem und acht Prozent. Je nach Pandemieverlauf rechnen die Vereinten Nationen nun für das Gesamtjahr mit einer Reduktion der CO2-Emissionen in einer Spanne zwischen vier und sieben Prozent. Gleichzeitig resümieren die Studienverfasser: „Die Spanne der Emissions-reduzierungen stimmt nahezu mit unseren Prognosen für 2020 überein, die benötigt werden, um die globale Erderwärmung – in Übereinstimmung mit den Pariser Klimazielen – unter 1,5 Grad Celsius bzw. deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten.“

Wie wichtig der Kampf gegen die Klimakrise auch in Pandemiezeiten ist, unterstreicht eine aktuelle Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Mercator Research Institute for Global Commons and Climate Change (MCC). Keine Frage, es kommen zwar oft neue Studien zu Klimafragen heraus. Das besondere an dieser ist jedoch, dass sie auf Klima- und Wirtschaftsdaten für 1500 Regionen in 77 Staaten der Welt basieren, die für einige Regionen bis zu hundert Jahre zurückreichen.

Frühere Forschungsarbeiten legten nahe, dass ein um ein Grad Celsius heißeres Jahr die Wirtschaftsleistung um etwa ein Prozent reduziert, erläutern die Forscher und stellen fest: „Die neue Analyse deutet auf Produktionsverluste hin, die in warmen Regionen bis zu dreimal so hoch sind.“ Indem diese Zahlen als Maßstab für die Berechnung künftiger Schäden durch weitere Treibhausgasemissionen verwendet wurden, stellen die Forscher erhebliche wirtschaftliche Verluste fest: zehn Prozent im globalen Durchschnitt und mehr als zwanzig Prozent in den Tropen bis 2100. „Klimaschäden treffen unsere Unternehmen und Arbeitsplätze, nicht nur Eisbären und Korallenriffe“, sagt die PIK-Studienautorin Leonie Wenz und ergänzt: „Steigende Temperaturen machen uns weniger produktiv, was insbesondere für draußen arbeitende Menschen in der Bauindustrie oder der Landwirtschaft relevant ist. Sie betreffen unsere Ernten und bedeuten zusätzliche Belastungen und damit Kosten für unsere Infrastruktur, weil zum Beispiel Rechenzentren gekühlt werden müssen.“ Laut Studie wird jede Tonne CO2, die in diesem Jahr emittiert wird, einen wirtschaftlichen Schaden verursachen, der bei den Preisen von 2010 zu Kosten zwischen 73 und 142 Dollar führt. „Bis 2030 werden die sogenannten sozialen Kosten von Kohlenstoff aufgrund steigender Temperaturen bereits um fast 30 Prozent höher sein“, mahnen die Forscher und verweisen auf Europa: Der Kohlenstoffpreis im europäischen Emissionshandel schwanke derzeit zwischen 20 und 30 Euro pro Tonne; in Deutschland klettere er von 25 Euro im nächsten Jahr auf 55 Euro im Jahr 2025.

Nach Angaben von Amundi Asset Management ist der CO2-Preis im ersten Quartal dieses Jahres um mehr als 41 Prozent gefallen. „Das stellt die Machbarkeit des Vorschlags des Internationalen Währungsfonds eines globalen CO2-Preises von 75 US-Dollar in 2030 in Frage“, meint Alice de Bazin und damit auch eine schadenadäquateBepreisung. Die Leiterin Institutional Offering & Solutions und ihre Mitstreiter Tobias Hessenberger und Théophile Pouget-Abadie haben in drei Szenarien untersucht, wie sich der Kampf gegen die Viruspandemie auf den Kampf gegen die Klimakrise auswirken könnte (siehe Interview auf Seite 15).

Die Amundi-Experten halten ihr Status-Quo-Szenario für das wahrscheinlichste. Danach geht die Politik weltweit, auf nationaler und auf regionaler Ebene bei der Integration von Klimaschutzbelangen sehr unterschiedlich voran. In widerstandsfähigeren Volkswirtschaften gelingt es den politischen Entscheidungsträgern, Nachhaltigkeitsmerkmale zu integrieren. In stark gebeutelten Volkswirtschaften weicht die Klimapolitik hingegen den kurzfristigeren Zielen von Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Die Folgen: Notwendige Reformen bleiben liegen, während die Übergangsrisiken steigen, schreiben die Autoren. Zudem würden die Konjunkturpakete durch höhere CO2-Emissionen die relativen Kosten der Dekarbonisierung erhöhen.

„Durch die Pandemie haben wir im Kampf gegen die Überhitzung der Erde etwa zwei Jahre bekommen und gelernt, dass große Veränderungen auch in kurzer Zeit möglich sind“, sagt Kraemer. Der Umweltingenieur ist auch Co-Vorsitzender des Anlageausschusses von zwölf unabhängigen Experten, die die Titel für das Anlageuniversum der Ökovision-Fonds der auf nachhaltige Investments spezialisierten Fondsgesellschaft Ökoworld auswählen. Folglich wäre es nun an der Zeit, die Krise als Chance zu nutzen und nicht nachhaltige Gewohnheiten und Wirtschaftsweisen abzulegen. Denn in Krisenzeiten, in denen Unternehmen weit unter ihren Kapazitätsgrenzen wirtschaften, falle der erforderliche Strukturwandel angesichts geringerer Opportunitätskosten tendenziell leichter.

„Die dauerhafte Reduktion der CO2-Emissionen kann nur gelingen, wenn wir die Corona-Krise dazu nutzen, unser Wirtschaftssystem nachhaltig neu auszurichten“, betont auch Georg Schürmann, Geschäftsleiter der Triodos Bank N. V. Deutschland (siehe Interview auf der nächsten Seite). Dies könne nur über eine nachhaltige Transformation der Realwirtschaft gelingen. Anders ausgedrückt: Wirtschaft müsse neu gedacht werden. Was das konkret bedeutet, zeigt die Nachhaltigkeitsbank anhand von fünf Bausteinen. Hierzu gehört z. B., dass die staatlichen Konjunkturpakete an Bedingungen geknüpft werden, angefangen bei der Reduzierung von CO2-Emissionen bis hin zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Auch die Globalisierung ist in der zuletzt gelebten Form für die Banker kein Zukunftsweg. Vielmehr brauche es kleine, gesunde und robuste Wirtschaftskreisläufe – regional, überregional und wo es nötig ist, auch international. „Das macht uns unabhängig, stärkt die Wirtschaft und somit sind Monokulturen und unnötige Transportwege passé“, heißt es auf der Triodos-Homepage.

Auch die Fondsgesellschaft RobecoSAM, ebenfalls ausschließlich im Bereich nachhaltiger Investments unterwegs, setzt auf die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft. „Die Nebenwirkungen von verschwenderischer Produktion und Konsum werden immer sichtbarer. Wir verbrauchen derzeit Ressourcen, die dem 1,75-fachen der Regenerationskapazität der Erde entsprechen, was schlichtweg nicht nachhaltig ist“, begründet Senior Portfolio Manager Holger Frey. Für ihn hat die Viruspandemie Ansätze geliefert, damit die Wirtschaft das Steuer herumreißen könnte. So habe die Digitalisierung in zahlreichen Sektoren Chancen der De-Materialisierung eröffnet. Und die Störungen in den globalen Lieferketten zeigten laut Frey, wie wichtig es ist, Ressourcen- und Produktströme besser nachverfolgen zu können.

„Es bedarf einer grundlegenden Umstellung in allen Lebens- und vor allem Wirtschaftsbereichen – vom Mobilitäts- und Verkehrssektor, dem Energieverbrauch von Gebäuden bis hin zur Ernährung und Landwirtschaft“, sagt McClellan. Aus Sicht der FNG-Geschäftsführerin kann der Wandel gelingen, wenn Investitionen in klimafreundliche Projekte und Infrastrukturmaßnahmen gelenkt werden. McClellan weiter: „Die ersten Schritte hierfür wurden bereits mit dem EU-Aktionsplan und dem European Green Deal getan. Damit gibt die EU „grünes Licht“ für saubere Technologien und setzt die richtigen Anreize, die dringend benötigt werden.“

Mit dem „Green Deal“ hat die EU eine Vielzahl von Maßnahmen benannt, die durch Investitionen in Höhe von jährlich 260 Milliarden Euro in den verschiedenen Sektoren vor allem einem Ziel dienen sollen: Klimaneutralität bis 2050. Durch den Aktionsplan sollen die erforderlichen Investitionen in der Privatwirtschaft mobilisiert werden. Den Rahmen soll ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten bilden, die sogenannte EU-Taxonomie. Die entsprechende Verordnung trat am 12. Juli dieses Jahres in Kraft. Während die Regelungen zu den beiden erstgenannten Zielen ab 2022 gelten, folgen die anderen vier ein Jahr später, also 2023.

Mit Blick auf den etablierten Dreiklang nachhaltiger Investments – environmental, social and governance, kurs ESG – kritisiert FNG, dass die beiden letztgenannten Faktoren im Rahmen der EU-Taxonomie sowohl in der zeitlichen Planung als auch in der inhaltlichen Berücksichtigung zu kurz gekommen sind. „Zwar werden soziale Kriterien in der Taxonomie durch die Erfüllung der ILO-Kernarbeitsnormen oder der OECD-Leitlinien berücksichtigt“, sagt die Geschäftsführerin, stellt aber fest: „Die Implementierung einer sozialen Taxonomie ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar.“ Als zu ambitioniert werden auch die 32 Indikatoren zur Messung prinzipiell negativer Auswirkungen der Investitionen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bewertet. Die Gründe: Die Daten seien für viele Indikatoren entweder nicht verfügbar oder nicht zuverlässig genug. Zudem würden sie Investoren zu wenig Kontext und zu viele Informationen liefern, was die Analyse erschwere, welche Auswirkungen Priorität haben und worauf man sich konzentrieren sollte. Daher schlägt der Fachverband vor, einen reduzierten Satz von obligatorischen Indikatoren zu nutzen.

Die Amundi-Nachhaltigkeitsexperten mahnen noch Verbesserungsbedarf bei der Anwendung von Kriterien und Benchmarks auf Vermögenswerte an, die sich außerhalb der EU befinden. Erfreut zeigt man sich, dass die Taxonomie eine Richtschnur dafür liefere, wie sich Aktivitäten und ihre technischen Schwellenwerte im Laufe der Zeit weiterentwickeln werden. „So ist beispielsweise bereits geplant, dass Plug-in-Hybrid-Pkws ab 2026 nicht mehr als CO2-effizient genug angesehen werden, um als umweltfreundlich eingestuft zu werden“, sagt Amundi-Experte Jean-Jacques Barbéris und fügt hinzu: „Dies liefert implizit einige Ansichten über die verschiedenen grün-Töne innerhalb der Taxonomie und hilft uns, unsere Portfolios bereits jetzt auf wirklich grüne Lösungen auszurichten.“

Mit Blick auf die sozialen Belange, die von Unternehmen und Investoren zu beachten sind, verweist der Gründer des Ecologic Instituts auf gesetzliche Regelungen, deren Einhaltung Sache der Politik sei. „Bei Fragen der Governance von Unternehmen kann in der Taxonomie im Grunde nicht viel mehr berücksichtigt werden als bereits geltendes Recht“, ergänzt Kraemer. Die Bewertungskriterien sind für den Umweltingenieur „einerseits spezifisch genug, sodass vergleichbare Daten von den Unternehmen erwartet werden können, andererseits aber flexibel genug, um die Vielfalt wirtschaftlichen Handelns und auch Sonderfälle erfassen zu können.“ Der Experte für nachhaltige Investments fügt aber hinzu: „Es wird einige Zeit dauern, bis sich die Umwelt- und Sozialmanagementsysteme in Unternehmen angepasst haben, die Struktur der Berichterstattung harmonisiert ist und sich Finanz- und Nachhaltigkeitsanalysten sowie -prüfer auf allgemeine Regeln und Standards verständigt haben.“

Handlungsbedarf besteht offensichtlich auch in der Anlageberatung. Bei einer Umfrage der Fondsgesellschaft Union Investment gaben 95 Prozent der befragten Bankberater an, den EU-Aktionsplan nicht oder nur ungenau zu kennen. Zudem hält die Anlageberater gleich eine Reihe von Gründen davon ab, Möglichkeiten des nachhaltigen Investierens bei ihren Kunden anzusprechen (siehe Schaubild auf Seite 18). Voraussichtlich bis Ende nächsten Jahres bleibt ihnen aber noch Zeit, hier gegenzusteuern. Anja Bauermeister, Abteilungsleiterin Publikumsfonds bei Union Investment, gibt aber zu bedenken, dass die EU-Taxonomie erst nach Einführung der geforderten Nachhaltigkeitspräferenzabfrage zur Verfügung stehen dürfte und betont: „Das kann für Unsicherheit in der Beratung sorgen.“

Willkommen für Finanzberater und Anleger dürfte da eine aktuelle Marktanalyse der Feri Investment Consulting sein. Die Analysten haben nachgeschaut, wie sich nachhaltige Aktienindizes seit Jahresbeginn bis Anfang Juni dieses Jahres gegenüber den jeweiligen marktbreiten Indizes in den USA und Europa geschlagen haben. „Der amerikanische MSCI USA NR SRI hat über drei Prozent besser abgeschnitten als der vergleichbare nicht nachhaltige Index. In Europa lag der MSCI Europe NR SRI um über fünf Prozent über dem vergleichbaren einfachen Index“, sagt Geschäftsführer Marcus Burkert. Auch über den Zeitraum von fünf Jahren liegen die genannten nachhaltigen Indizes um jährlich zwei Prozent in den USA und um drei Prozent in Europa vorne.“ Damit haben nachhaltige Investments selbst in der Corona-Krise deutlich besser abgeschnitten als konventionelle Geldanlagen und dazu beigetragen, die Kursschwankungen in den Portfolios abzufedern – wenn das kein überzeugendes Argument ist, künftige Anlageentscheidungen nach ESG-Kriterien zu treffen.