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Kommt die Pflichtversicherung?

Februar 2024
Die Schäden durch Naturkatastrophen werden größer. Gleichzeitig ist nur ein Bruchteil finanziell abgesichert. Eine aktuelle Studie der LBBW untersucht Lösungsansätze und empfiehlt eine bessere Verteilung der Lasten.
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Die Folgen des Klimawandels sind spürbar. Sie finden nicht mehr nur in den Nachrichten statt, sie betreffen auch hierzulande immer wieder eine Vielzahl an Menschen und Haushalten. Wetterextreme und Naturkatastrophen sind Teil des Normalzustands geworden. Damit häufen sich wetterbedingte Schäden. Die ökonomischen Schäden, die wetterbedingte Katastrophen weltweit auslösen, summieren sich in manchen Jahren auf über 300 Milliarden US-Dollar, hält man bei LBBW Research fest. Gleichzeitig waren in den vergangenen Jahren in Europa nur ein Viertel der Schäden durch Naturkatastrophen versichert. Aktuell Schätzungen weisen darauf hin, dass Deutschland hinter Frankreich die größte Lücke diesbezüglich aufweist.

Aktuellstes Beispiel ist die Flutkatastrophe im Ahrtal. Dieses Unwetter verursachte 2021 gesamtwirtschaftliche Schäden in Höhe von rund 40 Milliarden Euro – lediglich ein Viertel dessen war versichert. Diese Versicherungslücke sorgt für das so genannte Samariter-Dilemma (auch: Charity Hazard Problem). Es steht für den Zielkonflikt der Politik beim Ad-hoc-Einsatz von Steuergeldern für nicht oder nicht ausreichend versicherte Geschädigte.

Die Lücke zwischen gesamtwirtschaftlichen und versicherten Schäden steigt tendenziell und endet nicht an den Grenzen Deutschlands. Deshalb wird mittlerweile auf europäischer Ebene darüber diskutiert, wie sich das Problem lösen bzw. die Versicherungslücke schließen lässt.

MÖGLICHE LÖSUNGSANSÄTZE

In ihrer jüngsten Studie befasst sich die LBBW mit dem aktuellen Stand der Diskussionen. Sie skizziert Lösungen, die bereits in einigen europäischen Staaten, aber auch in den USA, existieren oder zum Teil lediglich als Vorschlag bestehen. Die Vorschläge reichen von einer EU-weiten Letztsicherung für Naturkatastrophen über nationale Public-Private-Partnerships bis hin zu Elementarschaden-Pflichtversicherungen. Dabei geht sie insbesondere der Frage nach, inwiefern eine entsprechende Versicherungspflicht die Probleme hierzulande entschärfen könnte.

Die Versicherungspflicht wird in diesem Zusammenhang immer wieder diskutiert. „Außerhalb des Sozialversicherungswesen sind Pflichtversicherungen hierzulande selten“, sagt Werner Schirmer, der als Senior Investment Analyst maßgeblich für die Studie bei der LBBW verantwortlich ist. Jede Form von Pflichtversicherung schränke das Recht des Einzelnen auf Vertragsfreiheit ein. „Gleichzeitig könnte die Elementarschaden-Pflichtversicherung für Gebäudebesitzer deren Existenzschutz bedeuten, sollte es zu einem Schadensfall kommen“, ergänzt Schirmer. Die Pflichtversicherung ist schon lange kein theoretisches Konstrukt mehr: Mehrere europäische Länder haben sie bereits in unterschiedlicher Form eingeführt. Auch in Deutschland sprachen sich neben Lobbygruppen zuletzt auch zahlreiche Politiker und Politikerinnen und der Bundesrat für die Einführung einer Pflichtversicherung aus. Die Umsetzung durch das Justizministerium blieb jedoch bislang aus.

MISCHSYSTEM ZWISCHEN PRIVAT UND STAAT

In Summe empfiehlt das Research der LBBW ein Mischsystem staatlicher und privater Policen, wie es zum Beispiel auch der Bundesverband der Versicherten (BdV) anrät. „Zusätzlich zu dieser Idee schlagen wir vor, die bislang praktisch nicht versicherten Schäden durch Sturmflut in den Gefahrenkatalog des Pflichtversicherungssystems mit aufzunehmen“, sagt Schirmer. „Zur Umlage von Prämien für Hochrisikoobjekte schlagen wir eine geografische Ausweitung des Kompensationsverfahrens auf die ganze Bundesrepublik vor“, ergänzt er. Damit würden beispielsweise auch mittel- und süddeutsche Hausbesitzer ihren Anteil an möglichen Überschwemmungen in Norddeutschland übernehmen. Gleichzeitig würden diese durch norddeutsche Immobilienbesitzer entlastet, wenn es um das nach Süden hinzunehmende Erdbebenrisiko geht.