Aufgrund diplomatischer Fortschritte im Atomkonflikt zwischen Washington und Teheran war zuletzt die Hoffnung auf Entspannung im Nahen Osten gewachsen. Doch der nächtliche Angriff Israels auf iranisches Staatsgebiet hat die ohnehin angespannte geopolitische Lage in der Region schlagartig verschärft. Die Märkte reagieren nervös, Rohöl verteuert sich und die Unsicherheit wächst.
Michaël Nizard, Head of Multi-Asset & Overlay, und Nabil Milali, Multi-Asset & Overlay Portfolio Manager bei Edmond de Rothschild AM, analysieren die möglichen Szenarien, ordnen die potenziellen Folgen für die Märkte ein und erklären, warum trotz aller Eskalationsgefahr auch Gründe für vorsichtigen Optimismus bestehen:
Ist ein Punkt ohne Wiederkehr in den Spannungen zwischen dem Iran und Israel erreicht? Während die Finanzmärkte angesichts der Fortschritte in den Gesprächen zwischen Teheran und Washington über das iranische Atomprogramm auf eine Entspannung im Nahen Osten hofften, ist durch die nächtlichen israelischen Angriffe auf iranisches Staatsgebiet das geopolitische Risiko plötzlich wieder in den Vordergrund gerückt. Dabei wurden mehrere Atomanlagen sowie hochrangige Militärvertreter getroffen – mit dem Ziel, die als besorgniserregend eingestuften Fortschritte im iranischen Atomprogramm zu stoppen.
Teheran hat bereits reagiert, bislang jedoch ohne schwerwiegende Folgen. Nahezu alle iranischen Drohnen wurden vom israelischen Abwehrsystem abgefangen. Die Kommunikation des Obersten Führers, Ayatollah Khamenei, lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass in den kommenden Tagen mit weiteren Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen ist. Er bezeichnete den israelischen Angriff als ‚Kriegserklärung‘.
Wir sehen zwei mögliche Szenarien:
Eine weitreichende iranische Reaktion, die zu einer vollständigen Kriegserklärung Israels führen würde. In diesem Fall wäre ein Eingreifen der USA unvermeidlich – mit dem Risiko einer regionalen Eskalation, die die Welt an den Rand einer beispiellosen Krise bringen könnte. Die Hauptfolge wäre eine Unterbrechung der Ölströme, verbunden mit dem potenziellen Risiko einer Schließung der Straße von Hormus und einem unkontrollierten Anstieg der Rohölpreise. Dies hätte eine scharfe Korrektur risikobehafteter Anlagen zur Folge, da ein weltweiter Konjunktureinbruch droht.
Eine moderatere Reaktion Teherans, ähnlich den früheren Spannungsphasen zwischen beiden Ländern in den letzten zwei Jahren: Es gibt nach wie vor Gründe zur Hoffnung, dass sich das zweite Szenario realisiert und der Konflikt eingedämmt werden kann. Einerseits haben die USA signalisiert, dass sie zwar über den israelischen Angriff informiert waren, diesen jedoch nicht unterstützten. Auch Donald Trump hat angedeutet, dass er weiterhin Gespräche mit Teheran aufnehmen wolle und somit diplomatischen Druck auf beide Seiten ausüben könnte, um Zurückhaltung zu mahnen.
Andererseits befindet sich das iranische Regime in einer prekären Lage: Die Wirtschaft leidet unter internationalen Sanktionen und der Unmut in der Bevölkerung wächst, was auch die Rückkehr an den Verhandlungstisch in den vergangenen Monaten erklärt. Zudem scheinen die militärischen Kapazitäten des Iran geschwächt zu sein, was sich in früheren ineffektiven Reaktionen und dem Machtverlust mehrerer verbündeter Milizen in der Region zeigt. Schließlich lassen auch die zurückhaltenden Reaktionen anderer regionaler Akteure darauf schließen, dass das aktuelle Geschehen bislang nicht als fundamentale Veränderung der Sicherheitslage gewertet wird. Somit besteht die Hoffnung, dass sich die Spannungen nicht auf den gesamten Nahen Osten ausweiten.
All diese Faktoren führen dazu, dass sich Anleger in dieser geopolitischen Situation vorsichtig optimistisch zeigen. Zwar zogen die Rohölpreise zunächst deutlich an (+7 Prozent auf 74 US-Dollar/Barrel), gaben nach der ersten Schockreaktion jedoch wieder etwas nach. Die sehr hohe Unsicherheit dürfte jedoch dafür sorgen, dass in den kommenden Wochen ein erhöhter geopolitischer Risikoaufschlag eingepreist bleibt. Ein erneuter Anstieg des Brent-Preises auf ein Niveau, das die Weltwirtschaft gefährdet oder eine neue Inflationswelle auslöst, wäre allerdings vermeidbar – sofern die OPEC-Staaten, insbesondere Saudi-Arabien, bereit sind, ihre Produktion auszuweiten.
Angesichts des vergleichsweise geringen Gewichts des Irans in der Weltwirtschaft ist ein möglicher Anstieg des Ölpreises der Hauptkanal, über den sich dieser geopolitische Schock auf die Finanzmärkte auswirkt – was den bislang begrenzten Effekt auf die Aktienmärkte erklärt. Während Gold seine Rolle als sicherer Hafen gut erfüllt (+1,5 Prozent auf 3.430 US-Dollar/Unze), sind die Renditen von Staatsanleihen weniger attraktiv. Dies deutet darauf hin, dass unter Anlegern Inflationssorgen überwiegen, zumal dieses Risiko zusätzlich zu den bereits bestehenden handelspolitischen Spannungen auftritt.
Die Aufwertung des US-Dollars fällt bislang moderat aus – ein weiteres Indiz für den übergeordneten Abwärtstrend der Währung. Vor diesem Hintergrund behalten wir unsere zurückhaltende Haltung gegenüber Aktieninvestments bei – insbesondere im US-Markt, wo die Bewertungen zuletzt schneller gestiegen sind als die Unternehmensgewinne. Zudem setzen wir unsere Strategie der aktiven Währungsabsicherung gegenüber dem US-Dollar fort.“