Die jüngste Zinssenkung signalisiert eine wachsende Zuversicht, dass die Inflationsziele erreicht werden, während das Wirtschaftswachstum mit zunehmendem Gegenwind zu kämpfen hat, konstatiert Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam.
Allein in den vergangenen Wochen haben die Abwärtsrisiken zugenommen. Der Handelskrieg eskalierte nach der Ankündigung von Zöllen durch die US-Regierung am 2. April und der Euro stieg um mehr als 5 Prozent. Die finanziellen Bedingungen haben sich verschlechtert und es wird erwartet, dass der Kreditimpuls in diesem äußerst unsicheren Umfeld nachlässt.
Vor diesem Hintergrund verfolgt die EZB einen vorsichtigen Ansatz, bei dem sie sich von Sitzung zu Sitzung alle Optionen offen hält. Tatsächlich hat die EZB das Wort ‚restriktiv‘ aus ihrer Erklärung zur Geldpolitik gestrichen, um ‚flexibel‘ zu sein. Europa befindet sich an einem Scheideweg. Einerseits könnte die Region von den positiven Auswirkungen der innereuropäischen Unterstützung wie dem deutschen Finanzplan und dem Programm ‚ReArm Europe‘ profitieren. Andererseits wird es Europa schwerfallen, Ansteckungsgefahren zu vermeiden, wenn die USA in eine Rezession abrutschen. Gleichzeitig sieht sich die EZB mit disinflationärem Druck konfrontiert – dämpfende Nachfrageeffekte durch Handelskonflikte, ein stärkerer Euro und eine potenzielle Flut billigerer chinesischer Waren könnten den Aufwärtsdruck durch Vergeltungsmaßnahmen und Unterbrechungen der Lieferketten überwiegen. Wenn die Stärke des Euro Fragen aufwirft, erleichtert dies den Lockerungszyklus der Zentralbank. Wir rechnen weiterhin mit zwei weiteren Zinssenkungen der EZB in diesem Sommer.
Die US-Notenbank wartet in der Zwischenzeit auf mehr Klarheit über ein mögliches Stagflationsszenario oder einen vorübergehenden Inflationsanstieg. Anhaltende Zölle könnten die Inflation in den USA in Richtung 5 Prozent treiben, bevor sie sich im Zuge der Abkühlung der US-Wirtschaft wieder auf 2 Prozent einpendelt. Wir erwarten aber Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte.