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Der chinesische Patient

Januar 2024
Wie sehr kränkelt die Wirtschaft im Reich der Mitte? Dieser Frage geht Alexis Bienvenu, Fondsmanager bei LFDE, nach.
LFDE
Alexis Bienvenu, LFDE

Die Talfahrt chinesischer Aktien ist nicht aufzuhalten. Im Jahr 2023 verlor der MSCI China 14 Prozent (in Euro) und setzte damit die Talfahrt der Jahre 2021 und 2022 fort [1]. In den drei Jahren bis zum 18. Januar 2024 betrug der Verlust 44 Prozent, während globale Aktien im selben Zeitraum um 40 Prozent zulegten. Sogar die einst sehr gefragten Technologiewerte haben zu kämpfen: Alibaba hat beispielsweise seit 2021 fast 70 Prozent verloren [1].

Der Druck spiegelt sich auch in der Währung wider, die gegenüber dem Dollar in drei Jahren um 10 Prozent an Wert verloren hat [1].

VIELFÄLTIGE HERAUSFORDERUNGEN

Die Hauptursachen sind bekannt: eine übermäßig strenge Politik zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, Störungen in den Produktionsketten, unvorhersehbare und brutale Maßnahmen gegenüber Unternehmen – insbesondere Technologieunternehmen –, Protektionismus seitens der USA und ein Konjunkturaufschwung Anfang 2023, der sofort wieder an Fahrt verlor. Doch vor allem ist da die Immobilienkrise, bei der kein Ende abzusehen ist. Der Sektor erholt sich einfach nicht, obwohl seit zwei Jahren verschiedene Unterstützungsmaßnahmen laufen, darunter die gewagte Anordnung an die Banken, mehr Kredite an Immobilienentwickler zu vergeben. So war bei den 2023 verkauften Flächen ein Rückgang um 12,7 Prozent zu verzeichnen [2]. Die Preise für Wohnimmobilien-Neubauten in den 70 größten Städten des Landes gingen 2023 um -0,9 Prozent zurück, 2022 waren es -2,30 Prozent [2]. Bei Bestandsbauten war der Rückgang noch markanter.

Berücksichtigt man außerdem noch das Schrumpfen der Bevölkerung, das mit zwei Millionen weniger Chinesen im Jahr 2023 gerade erst begonnen hat, und eine Gesamtverschuldung – staatliche und private –, die im Verhältnis zum BIP Rekordhöhen erreicht (360 Prozent Ende 20221), dann erscheint die Lage ebenso katastrophal wie sie zu Zeiten des schillernden Chinas vor nur wenigen Jahren vielversprechend wirkte. Aber ist sie hoffnungslos? Nein. Denn China verfügt noch auf lange Sicht über starke Trümpfe.

BALANCE ZWISCHEN WACHSTUM UND GELDPOLITIK

Erstens Chinas strukturelles Wachstum. Denn wenngleich mit dem Immobiliensektor eine zentrale Säule seines Wirtschaftsmodells bröckelt, lag das BIP-Wachstum in den vergangenen Jahren deutlich im positiven Bereich, zumindest den offiziellen Zahlen zufolge. Über fünf Jahre hielt sich das Wachstum des Landes trotz der Coronakrise bei durchschnittlich 5,2 Prozent [1] und dürfte 2024 kaum darunter liegen (Bloomberg-Konsens). Dieses Niveau ist nach wie vor das bei weitem höchste unter den großen Wirtschafträumen, und das wahrscheinlich noch für viele Jahre. Indien schneidet mit rund 6 Prozent [1] zwar besser ab, aber sein allgemeines Wohlstandsniveau ist noch deutlich niedriger.

Zweitens Chinas Geldpolitik. Die Zinsen auf chinesische Staatsanleihen sind in den vergangenen drei Jahren zwar stark gesunken, liegen aber deutlich im positiven Bereich und bieten damit großen Spielraum, um bei Bedarf die geldpolitischen Anreizmaßnahmen auszuweiten. Man könnte die Unterstützung durch die chinesische Zentralbank für zu zaghaft halten, umso mehr als die Gesamtinflation seit einigen Monaten negativ ist. Umgekehrt könnte man sie jedoch auch als umsichtiges Vorgehen zur Vermeidung übermäßiger Konjunkturanreize betrachten, die mit der Gefahr einer ebenso nachteiligen Inflation verbunden sind. Letztere hat sich in jüngster Zeit im Westen manifestiert. Die Währungshüter geben der Wirtschaft währenddessen Impulse, indem sie den Mindestreservesoll der Banken deutlich reduzieren. Ferner liegt die Kerninflation mit rund 0,60 Prozent pro Jahr weiter im positiven Bereich. Mit seiner zurückhaltenden Geldpolitik vermeidet China im Gegensatz zu den westlichen Zentralbanken nicht nur eine Inversion seiner Zinskurve, sondern hält auch ein Niveau aufrecht, das mit einem nominalen Wachstum von 5 Prozent vereinbar ist. Läge das Wachstum der westlichen Länder auf demselben Niveau, würde ein Leitzins von 2 Prozent nicht restriktiv erscheinen!

Doch trotz dieser beiden Trümpfe werden die Anleger misstrauisch bleiben. Solange die Immobilienkrise andauert, wird das Risiko einer Bankenkrise den Aktienmarkt und die Stimmung der Privathaushalte stark belasten. Dies könnte noch einige Jahre der Fall sein.

Aber kann man sich vorstellen, welches Potenzial für einen phänomenalen Aufschwung sich daraus ergibt? Sicherlich werden die sehr langfristigen Herausforderungen – die in erster Linie die Demografie, Geopolitik und Regierungspolitik betreffen – nicht durch die aktuellen Maßnahmen bewältigt. Doch wenn sich der Immobiliensektor erst einmal stabilisiert hat, wird schon die kleinste gute Nachricht das derzeitige übertriebene Misstrauen in Euphorie verwandeln. China hat Zeit, und die werden sich auch die Anleger nehmen müssen.

[1] Bloomberg

[2] National Bureau of Statistics