Die Unsicherheit ist groß. Inflation, Rezession, Strom- und Gasmangel und erstmals seit vielen Jahren wieder eine atomare Bedrohung ängstigen und beschäftigen die Menschen. Sicher ist schon heute, trotz staatlicher Hilfen, dass 2023 der Gürtel bei fast allen enger geschnallt werden muss. Viele Indikatoren sprechen dafür. So sind die Kunden im dritten Quartal 2022 seltener einkaufen gegangen, wie das ifo Institut ermittelt hat. 45,7 Prozent der Einzelhändler berichten von weniger Kunden in ihren Läden. Vor allem für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige sieht es düster aus. Ihr Geschäftsklimaindex fiel im Oktober auf minus 25,0 Punkte, nach minus 20,9 im September. „Die Existenzsorgen nehmen merklich zu“, interpretiert Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen, die Ergebnisse. Schon jetzt ist die Nachfrage nach Baufinanzierungen eingebrochen. Das Neugeschäft deutscher Banken mit Immobiliendarlehen an Privathaushalte und Selbstständige fiel im September um 28 Prozent zum Vorjahresmonat, so die Süddeutsche Zeitung, die Daten der Beratungsfirma Barkow Consulting veröffentlichte. Mit einem Volumen von 16,1 Milliarden Euro liege das Neugeschäft damit auf dem niedrigsten Stand seit 2014.
Dass sich in diesem Klima sowohl Privathaushalte als auch Unternehmer nicht mehr mit neuen Plänen zu ihrer Altersvorsorge beschäftigen, ist einleuchtend. „Die Furcht vor einer galoppierenden Geldentwertung liegt auf der Sorgenskala sogar noch vor dem Bangen um die eigene Altersvorsorge, die traditionell als wichtigstes Thema der Finanzberatung in Deutschland gilt“, erklärt Plansecur-Geschäftsführer Heiko Hauser. Fast jeder zweite Berater der Finanzberatungsgesellschaft Plansecur wird derzeit von seiner Kundschaft auf Aktien- und Fondssparpläne angesprochen. Rund 45 Prozent der Berater müssen Fragen zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf ihre Finanzanlagen beantworten. Das geht aus einer nicht repräsentativen Umfrage hervor, bei der Ende 2022 rund 180 Berater befragt wurden. „Nur noch 15 Prozent der befragten deutschen Versicherer haben ihre Ertragslage im Sommer günstig genannt“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Im Vorjahr waren es noch 22 Prozent. In der Spartenbetrachtung verschlechterte sich in der Lebensversicherung die Beurteilung der aktuellen Ertragslage. Zwar bezeichneten weiterhin drei Viertel der Unternehmen die momentane Situation als befriedigend, jedoch schätzten nur noch 21 Prozent der Befragten und damit fünf Prozent weniger als im Vorjahr ihre Lage als günstig ein.
Große Probleme bei der BAV
Noch dramatischer zeigen sich die Probleme der Kunden in der betrieblichen Altersvorsorge (bAV). Immer mehr Beschäftigte stoppen nämlich die Einzahlungen in ihren bAV-Vertrag. Dies ergaben Erhebungen der DCS Deutsche Clearing-Stelle GmbH. Demnach stieg die Zahl der Beitragsfreistellungen und Anträge auf vorzeitige Auflösung im Jahr 2022 um rund das Doppelte gegenüber dem Vorjahr. Die Tendenz zeigt laut DCS im vierten Quartal 2022 deutlich in Richtung weiter rückläufiger Einzahlungen in die bAV. Überwiegend setzen Beschäftigte auf eine Beitragsfreistellung, doch auch die Anfragen zur vorzeitigen Auflösung nehmen zu.
Ein anderes Bild zeichnen hingegen noch viele Lebensversicherer, wie aus einer Blitzumfrage im November 2022 durch FONDS exklusiv hervorgeht. Befragt wurden 20 kleine und große Lebensversicherungen, die auch einen Schwerpunkt im Maklergeschäft haben. 16 Assekuranzen antworteten. Wie in der Coronakrise fragten wir die Lebensversicherer nach den aktuellen Aktionskrisenmaßnahmen für Kunden und Vermittler. Vorbildlich vorgeprescht war hier bereits die Bayerische, indem sie die Maßnahmen öffentlich präsentierte, die Kunden bei Bedarf die Möglichkeiten geben, die monatlichen Haushaltskosten zu reduzieren und dennoch den Versicherungsschutz zu erhalten. „Dabei werden wir unkompliziert Hilfe anbieten“, verspricht Martin Gräfer, Vorstandsmitglied der Bayerischen. Angebote gibt es für Kunden sowohl bei den Sachversicherungen als auch in der Sparte Leben. So kann man in Komposit etwa die Beitragszahlung um bis zu drei Monate aufschieben. Bei vielen Produkten wie beispielsweise im Bereich Unfall-, Hausrat- oder Haftpflichtversicherung kann zusätzlich eine befristete Beitragsfreistellung mit ruhendem Versicherungsschutz für bis zu sechs Monate beantragt werden. Außerdem verweist die Bayerische darauf, dass eine kurzfristige Anpassung des bestehenden Vertrages, ein Tarifwechsel auf aktuelle Bedingungen sowie die Vereinbarung einer Selbstbeteiligung unbürokratisch und schnell möglich wäre.
Viele Ausnahmeregelungen
In der Sparte Leben bietet die Bayerische im Bedarfsfall ebenfalls Entlastungsoptionen. So ist auch hier beispielsweise eine Verlegung des Vertragsbeginns in der Einkommenssicherung um bis zu drei Monate ohne erneute Gesundheitsprüfung möglich. Bei bereits laufenden Verträgen kann ein Zahlungsaufschub von bis zu sechs Monaten vereinbart werden – auch hier ohne erneute Gesundheitsprüfung. Im Anschluss zahlt der Kunde den ausstehenden Beitrag in einer Summe oder der Beitrag wird mit den Beiträgen für die restliche Laufzeit verrechnet. Das führe in der Regel nur zu einer geringfügigen Erhöhung des Beitrags. Im Bereich der Fondspolicen kann ebenfalls eine Aussetzung der Beiträge erfolgen. Sogar bei Unterschreiten von Mindestrenten oder Mindestvertragsguthaben bis 100 Euro wird im Rahmen der Ausnahmeregelungen eine befristete Beitragsfreistellung bis hin zu sechs Monaten gewährt. „In Zeiten wie diesen ist es zentral, dass wir als Versicherer Flexibilität zeigen“, betont Gräfer.
Noch keine Aktionen
So weit sind scheinbar viele andere Assekuranzen nicht. Sie sitzen die Krise – zumindest öffentlich – erst einmal aus und setzen mehr oder weniger auf alte Instrumente aus der Corona-Krise. So heißt es beispielsweise aufseiten der Continentale: „Unsere Tarife sehen eine Vielzahl an Optionen vor, um temporären Zahlungsschwierigkeiten zu begegnen.“ Zudem gebe es „im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten“ auch individuelle Lösungen. „Daher ist der Bedarf an speziellen Aktionen im weiteren Sinne nicht gegeben“, so die Begründung. Bei der Zurich, Württembergische, LV1871, HDI, Generali und Alte Leipziger wollte man sich nicht zu aktuellen Aktionskrisenmaßnahmen äußern. Die Gothaer ist derzeit dabei, weitere Maßnahmen zu entwickeln, um Kunden besser zu unterstützen. Demgegenüber ist die Barmenia erst in der Entscheidungsfindung. Viele Versicherer sehen die Notwendigkeit von besonderen Regelungen oder öffentlichen Aktionen scheinbar „noch“ nicht gegeben. So verweist man bei der Axa darauf, dass die Entwicklung genau beobachtet wird, es derzeit aber noch nicht mehr Kündigungen gibt.
Ähnlich die Argumentation bei der Allianz: „Bisher stellen wir in der Lebensversicherung, aber auch in der Kranken- und Sachversicherung, kein besonders erhöhtes Stornoverhalten fest, oder eine verstärkte Nachfrage unserer Kundinnen und Kunden nach günstigeren Versicherungsoptionen oder Stundungen“, sagt Franz Billinger. Der Allianz-Pressesprecher meint, dass den Menschen durch die Situation der letzten Jahre nochmal bewusst geworden ist, wie wichtig eine gute Vorsorge und ein guter Versicherungsschutz sei. Dies spiegele sich auch in der Nachfrage nach Vorsorgelösungen wider, die einen Schutz vor Inflation und Kapitalmarktschwankungen böten. „Unauffällige“ Stornoquoten meldet die R+V Versicherung. Allein das Neugeschäft sei „leicht rückläufig“. Auf das flexible Bedingungswerk setzt die Hanse Merkur. Hier gebe es umfassende und günstige Lösungen bei Zahlungsschwierigkeiten. Demgegenüber verweisen Stuttgarter und Ergo darauf, dass die Regelungen, die zur Corona-Krise eingeführt wurden, noch gelten würden. So gibt es bei der Ergo in der Berufsunfähigkeitsversicherung einen Stundungszeitraum von zwölf Monaten. Und der Münchener Verein wie auch die Allianz verweisen zusätzlich auf sogenannte Policendarlehen (siehe Kasten).
Drei Versicherer sehr aktiv
Keine der bisher genannten Assekuranzen hat im Zuge der Umfrage der Aufforderung nach einer aktuellen Vermittlerinfo entsprochen. Immerhin verweist die Canada Life auf ihr Infoblatt „Beitragsfreistellung und Stundung“ zur Berufsunfähigkeits- und Grundfähigkeitsversicherung, das aber schon im November 2021 veröffentlicht wurde. Besser aufgestellt sind Vermittler bei der Nürnberger, Ideal und dem Volkswohlbund. Während die Nürnberger den Vermittlern auf einer Vertriebshomepage Hilfe für klamme Kunden anbietet, haben die beiden anderen Maklerversicherer brandneue Vertriebsinformationen veröffentlicht. Beim Volkswohlbund sind alle Sonderregelungen bis zum 31. März 2023 verlängert worden. Beispiel „Aussetzung“: „Für alle Verträge können Ihre Kunden, bis zu 15 Monate, eine Aussetzung für künftige Beitragszahlungen beantragen. Einzige Ausnahme: Verträge der Unterstützungskasse. Einzige Voraussetzung ist, dass in den letzten 6 Monaten vor der Aussetzung die Beiträge bezahlt wurden.“
Auch die Ideal hat für ihre Vertriebspartner und Kunden ein umfassendes Maßnahmenpaket geschnürt, betont man dort und weist darauf hin, dass es erst einmal zeitlich unbefristet für alle Leben-Produkte gilt. Kunden erhalten die Möglichkeit, Beiträge und Mindestversicherungssummen zu reduzieren oder Beitragsstundungen bzw. Beitragsfreistellungen vorzunehmen. „Speziell bei den Stundungen haben wir auch die maximale Dauer von sechs auf 24 Monate angehoben“, sagt Ideal-Vorstand Maximilian Beck. „Für Entlastung auf Vermittlerseite soll zusätzlich der Aufschub von Provisionsrückbelastungen sorgen. Dieser wird auf Anfrage für sechs Monate gewährt.“ Die Regelungen im Detail können Vermittler in einem Newsletter nachlesen.
Solche Hilfen dürften für Vermittler im Ernstfall sehr wichtig werden. Denn 2023 dürfte eines der härtesten Jahre für die Vermittlung von Altersvorsorge werden. Da ist jeder gut beratende Kunde Gold wert. Gute Argumente können helfen. So stellt etwa Marco Eckert, Geschäftsführer der DCS, klar, dass ein Sparen an der Betriebsrente das tatsächlich verfügbare Nettoeinkommen nur unwesentlich erhöht. „Denn wer seine bAV-Einzahlungen stoppt, verzichtet auch auf Zuschüsse des Arbeitgebers und auf Vorteile in puncto Steuer und Sozialversicherung.“ Da die Auszahlungen in der Rentenphase entsprechend gekürzt werden, steigen laut Eckert die Risiken einer Altersarmut. Eine Musterrechnung (siehe Kasten links) beweist zudem, dass sich eine Kündigung des bAV-Vertrages meist überhaupt nicht lohnt.