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Deutschlands Industrie auf dem Prüfstand

Mai 2025

Sollte China seine Exporte künftig vermehrt nach Europa liefern, würde vor allem Deutschlands Wirtschaft darunter leiden, so die jüngste Analyse des Kreditversicherers Allianz Trade. Die Folgen wären ein teils drastischer Jobabbau.

Allianz Trade
Milo Bogaerts, Allianz Trade

Der Zollstreit zwischen den USA und China wurde am 11. Mai zunächst für 90 Tage auf Eis gelegt. Sollten danach keine bilateralen Einigungen erzielt werden, dürften chinesische Exporteure zunehmend in die europäischen Märkte und insbesondere nach Deutschland drängen.

Die Folgen wären erheblich: 17.000 – 25.000 Arbeitsplätze[1] im verarbeitenden Gewerbe könnten in diesem Fall auf dem Spiel stehen. Zu diesem Schluss kommt die jüngste Analyse des Kreditversicherers Allianz Trade. „Die Handelswelt steht derzeit Kopf. Die US-Zölle führen fast überall in der Welt zu erheblichen Verschiebungen bei den Handelsströmen“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Viele chinesische Waren könnten auf den europäischen Markt umgeleitet werden, anstatt die US-amerikanischen Regale zu füllen. Das wird aufgrund der ähnlichen Industriemodelle der beiden Länder vor allem in Deutschland spürbar: Zehntausende Arbeitsplätze sind möglicherweise gefährdet, vor allem im verarbeitenden Gewerbe und bestimmten Regionen. Für das deutsche Wirtschaftswachstum ist es ein weiterer Dämpfer; es kommt durch die zunehmende Konkurrenz schwerfälliger wieder auf die Beine.“

SÜDDEUTSCHE REGION BESONDERS GEFÄHRDET

In Deutschland gehören nach der Analyse von Allianz Trade Regionen wie Oberfranken und Tübingen aufgrund der aktuellen deutschen Importmuster und der regionalen industriellen Struktur mit einer hohen Dichte an Unternehmen in der Textil- und Computerindustrie sowie der Raum Freiburg (Computer und Metalle) zu den am stärksten betroffenen Gebieten. Aber auch in anderen Regionen in der Bundesrepublik und im Ausland nimmt die Konkurrenz zu.

„Durch die wahrscheinliche Umleitung chinesischer Waren insbesondere nach Deutschland und den verstärkten Wettbewerb könnten hierzulande 17.000 bis 25.000 Industrie-Jobs verloren gehen“, schätzt Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade. Besonders stark gefährdet seien der Maschinenbau, die Textilindustrie, nichtmetallische Mineralprodukte[2], Elektronik[3], Computer und Kraftfahrzeuge. „Dies entspricht rund 0,2 bis 0,3 Prozent der aktuellen Gesamtbeschäftigung in der deutschen Industrie.“

Die drohenden Arbeitsplatzverluste variieren allerdings je nach Exposition und Bedeutung des jeweiligen Sektors für den Gesamtarbeitsmarkt. Im Maschinen- und Ausrüstungssektor arbeiten besonders viele Angestellte, hier könnten 13.000 bis 19.000 Stellen verloren gehen. Das entspricht rund ein Prozent der aktuellen Arbeitsplätze. Im Bereich der nichtmetallischen Mineralprodukte könnten ebenfalls bis zu ein Prozent der derzeitigen Jobs entfallen – allerdings ist die Gesamtbeschäftigung in der Branche deutlich geringer, so dass die absolute Anzahl der bedrohten Arbeitsplätze mit 1.200 bis 1.800 insgesamt wesentlich kleiner ausfällt. Dem ebenfalls kleineren, aber stark exponierten Textilsektor droht ein Verlustrisiko von zwei Prozent beziehungsweise von 2.200 – 3.300 Jobs.

VERMEHRT CHINESISCHE WAREN

Chinas Exportverluste in die USA dürften sich ohne bilaterale Einigungen auf insgesamt bis zu 239 Milliarden US-Dollar belaufen. Chinesische Unternehmen werden versuchen, diese in andere internationale Absatzmärkte zu drücken, allen voran in die Europäische Union (EU) mit rund einem Drittel. So könnten in den nächsten drei Jahren nach Berechnungen von Allianz Trade auf Basis der aktuellen deutschen Importmuster rund 14 Prozent der durch den Handelskrieg zwischen den USA und China verursachten chinesischen Exportverlagerungen in Deutschland landen. Das entspricht Waren im Wert von rund 33 Milliarden US-Dollar. Importe aus China dürften hierzulande demnach um 19 Prozent zunehmen und zu einem Anstieg der deutschen Gesamtimporte um 2,5 Prozent führen.

Knapp 20 Prozent der im Zuge des Handelskriegs umgeleiteten chinesischen Waren dürften in den anderen EU-Ländern (außer Deutschland) landen. Das entspricht Waren im Wert von 47 Milliarden US-Dollar.

„Die weltweite Handelsdynamik ist durch den Zollkrieg aus der Balance“, sagt Gröschl. „Deutsche Unternehmen geraten gleich an zwei Fronten unter Druck: einerseits durch die den verstärkten Wettbewerb und die eng mit China verzahnten Lieferketten im Inland und andererseits durch das stark exportorientierte deutsche Geschäftsmodell auch verstärkt im Ausland. Das gilt sowohl für Wachstumsmärkte als auch für das EU-Ausland. Gerade in hochwertigen, anspruchsvollen Sektoren konkurrieren chinesische Importe zunehmend mit deutschen Waren.“

Die daraus resultierenden Handelsverluste für Deutschland im EU-Ausland könnten sich auf bis zu -10,5 Milliarden US-Dollar belaufen, was einem zusätzlichen Rückgang des Handels mit EU-Partnern um -0,01 Prozentpunkte entspricht. „Das ist insgesamt zwar sehr überschaubar, aber dennoch für Unternehmen spürbar“, sagt Gröschl. „Viele Unternehmen haben den Export genutzt, um die schwache Binnenkonjunktur zumindest teilweise zu kompensieren. Das wird nun noch schwerer.“

DEUTSCHES WACHSTUM GEDÄMPFT

Der Handelskrieg verlangsamt das Wirtschaftswachstum in Deutschland: Die Allianz Trade Volkswirte gehen in den kommenden drei Jahren von Einbußen beim deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von insgesamt rund -1,5 Prozentpunkten aus. Der größte Anteil der Einbußen (rund -1,3 pp) geht auf das direkte Konto der Zölle, die in der aktuellen Prognose des deutschen BIP-Wachstum von Allianz Trade bereits berücksichtigt sind, die für 2025 von +0,1 Prozent ausgeht, für 2026 von +1,6 Prozent und für 2027 von + zwei Prozent. Mit dem intensiven chinesischen Wettbewerb dürften in den kommenden drei Jahren weitere Einbußen von rund -0,2 Prozentpunkte hinzukommen, so dass die deutsche Wirtschaft 2025 voraussichtlich sogar erneut stagnieren dürfte.

Der Handelskrieg hat auch positive Aspekte – wenngleich in eher überschaubarem Ausmaß. Die Inflation dürfte durch den Handelskrieg von 2025 bis 2027 um insgesamt rund -0,5 Prozentpunkte sinken. Die Prognose liegt für 2025 und 2026 aktuell bei einer Teuerungsrate von jeweils 1,9 Prozent und 2027 von zwei Prozent. Unternehmen dürften immerhin bei den Einkaufspreisen profitieren, denn der Zustrom an Waren aus China verbilligt auch viele Vor- und Zwischenprodukte. Das führt zumindest in diesem Bereich teilweise zu höheren Unternehmensmargen, auch wenn es die Verluste bei der Wertschöpfung von Endprodukten nicht kompensieren kann.

„Insgesamt sind das keine rosigen Aussichten, insbesondere mit Blick auf Arbeitsplätzen“, sagt Bogaerts. „Was aber Hoffnung gibt, ist die erwiesene Robustheit der deutschen Unternehmen. Sie sind stärker als viele glauben – und widerstandsfähiger als die nackten Produktionszahlen glauben machen. Das zeigt zum Beispiel die industrielle Bruttowertschöpfung und die Rentabilität. Die starke Konkurrenz aus China ist nicht neu. Chinesische Unternehmen haben in den letzten fünf Jahren sukzessive Marktanteile in Europa erobert. Trotzdem hat sich die industrielle Bruttowertschöpfung – also das, was am Ende bei den Unternehmen hängen bleibt – vergleichsweise gut gehalten. Das zeigt, wie anpassungsfähig deutsche Unternehmen sind.“

[1] Bestimmte Sektoren und Unternehmen sind dem zunehmenden Wettbewerb aus China besonders ausgesetzt. In diesen exponierten Sektoren und Unternehmen sind aktuell insgesamt gut 500.000 Arbeitsplätze angesiedelt. Die Schätzung, wie viele der grundsätzlich exponierten Gesamtzahl der Arbeitsplätze tatsächlich verloren gehen könnten, ist basierend auf der von uns berechneten Exponiertheit in Kombination mit Schätzungen von Aghelmaleki, Bachmann, and Stiebale (2022) abgeleitet. Der Großteil der exponierten Arbeitsplätze ist weiterhin gesichert durch entsprechende Gegenmaßnahmen der Unternehmen, wie beispielsweise Innovationen.

[2] Unter nichtmetallische Minerale fallen unter anderem folgende Produkte: Roh- oder verarbeitete Produkte aus nichtmetallischen Materialien wie zum Beispiel einfache Haushaltsprodukte wie Keramik oder Glas, z.B. Gläser, Teller, Sanitärprodukte wie Waschbecken, sowie Steine, Zement, Kalk, Kaliumoxid etc.

[3] Unter elektronische Ausrüstungen fallen zum Beispiel Monitore, Lampen, Rasierer, Ladegeräte fürs Handy, Lautsprecher etc.